DAS DUALE GESCHÖPF

 

ZEICHNUNGEN UND HELFER

 

Seit Mitte der achtziger Jahre ist das Androgyne ein wichtiger Bestandteil in der Kunst von Monika Maria Nowak. Auf Zeichnungen und Aschebildern sind sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsteile dargestellt als zentrale Insignien, die ineinander verwoben sind. Sie symbolisieren die Einheit von männlichen und weiblichen Energien, die in jedem Menschen vorhanden sind und wirksam werden. Dem Wortsinn nach- griechisch andros für Mann und gyne für Frau- handelt es sich um das Vereinheitlichen und um die Zusammenschau der sozial ausgeformten Polarität von Mann und Frau. In unserer Gesellschaft, die dem Mann und der Frau unterschiedliche , klar abgegrenzte Rollen zuweist, ist das Androgyne nicht oder nur schwer lebbar. Dem Mann wird beispielsweise der Verstand zugeordnet, der Frau eher die Empfindung und das Gefühl. Mit solchen und anderen Unterscheidungen wird es dem Einzelmenschen, der in aller Regel nur einem äußerlich sichtbaren Geschlecht angehört, außerordentlich erschwert in Harmonie und Vollkommenheit mit sich selbst zu leben – er wird immer verweisen auf seine geschlechtliche Ergänzung, der Mann auf die Frau, die Frau auf den Mann. Das heilige Sakrament der Ehe, der christliche und soziale Status der Familie sind nicht nur im Ausdruck dieser „gottgewollten“ Ordnung, sondern produzieren auch den einseitigen Menschen, der sein Pendent, seine Ergänzung sucht. Diesem Jetzt-Zustand stellt Monika Maria Nowak das Ideal des einheitlichen, sprich androgynen Menschen gegenüber und erschafft dadurch eine visionäre, auf die Zukunft gerichtete Gegenposition vorwaltenden Geschlechtertrennung in der Gesellschaft. Der androgyne Mensch ist für die Künstlerin die zur Harmonie gebrachte Einheit von Kopf und Bauch, von Verstand und Gefühl. Das rein Geschlechtliche, wie etwa das doppelte Geschlecht des Hermaphroditen, stellt für sie nur eine Sonderform des Androgynen dar, in dessen Zentrum die Ausgewogenheit der männlichen und weiblichen Energien überhaupt steht.

Diesem Jetzt-Zustand stellt Monika Maria

 

Erklärungen zum Androgynen bieten heute verschiedene Wissensbereiche, wie Altertumskunde, Mythenforschung, die verschiedenen Schulen der Tiefenpsychologie: Das Androgyne entstand in der Mythologie und Kunst in der Phase der Unterwerfung des Matriarchats durch patriarchale Gesellschaftsstrukturen und bezeugt die weiterwirkende Macht der gebärenden und damit Leben spendenden Muttergöttin. In den frühen und in den östlichen Kulturen, in denen die Frau als geistiges Wesen noch eine größere Macht hat, sind noch Elemente des Androgynen enthalten. In einem Gespräch zu diesem Thema wies Ursula Birther uns auf die Dakinis (weise Frauen) in Tibet hin, zu deren Symbolen der Khatvanga-Stab gehört:“Die umfassende Bedeutung des Khatvanga-Stabes ist die des -verborgenen Gefährten-...und steht für den männlichen Gefährten der Dakini. Wenn wir die möglichen Arten des Gebrauches eines Stabes mit einem Dreizack bedenken, so sind das: als Stütze, als Lanze und als Werkzeug, um etwas niederzuhalten. Mit dem Khatvanga weist die Dakini darauf hin, daß sie das Männliche in sich selbst verkörpert, daß ihr diese Energie zur Verfügung steht. Sie erkennt den Khatvanga als etwas, das sie zur Verteidigung haben muss, und zugleich anerkennt sie ihn als etwas, das von ihr getrennt ist.“ (Tsültrim Allione. Tibets weise Frauen.Capricorn Verlag 1987. S.85/86)

 

Diesem Komplex spiritueller Einheit der weiblichen und männlichen Energien und Kräfte fühlt sich Monika Maria Nowak als Künstlerin verwandt. Wenn sie als weibliche Künstlerin eine Vielzahl androgyner Bildinhalte und Formen hervorbringt, so gestaltet sie damit ihre eigene Befindlichkeit, ihre Erfahrungen mit sich, ihrem Leben...Die bildlichen Darstellungen sind quasi Momentaufnahmen aus dem Lebensfluß mit seinem variablen Spiel der Kräfte und Energien in den unterschiedlichen Seinsformen, wie die Künstlerin sie erfahren hat. Sie zeigen keinen endgültigen Zustand, sondern eine vorübergehende, sich wandelnde Identität der Person. Auch ihr Bezug zum Schamanismus – Geschlechterwandel und Geschlechterindifferenz sind häufig ein Teil der schamanischen Praxis – entsprechen einer ganzheitlichen, zwischen weiblich und männlich wandernden Auffassung.

 

Dr. Karla Bilang, Mai 1993

 

Förderverein Schul-und Bethaus Alt Langsow e.V. Text zur Ausstellung

 

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